Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz für viel Aufregung gesorgt. Die Politik hat umgehend reagiert und setzt auf schärfere Klimaschutzziel. Doch sind die politischen Vorgaben realistisch? Mit welchen Folgen ist zu rechnen? Lesen Sie dazu eine kurze Einschätzung von Eric Heymann, Senior-Economist bei Deutsche Bank Research. Seine Themenschwerpunkte sind Verkehr, Energie und die Klimapolitik.
Markt und Mitte: Um den Klimawandel zu bremsen, muss unser Wohlstand möglichst CO2-arm produziert werden. Wie realistisch sind die politischen Zielvorgaben (Reduktion der CO2-Emissionen bis 2030 um 65 % ggü. dem Emissionsniveau von 1990 und CO2-Neutralität bis 2045)?
Eric Heymann: Aus meiner Sicht sind diese Klimaschutzziele mit den heute verfügbaren und politisch akzeptierten Technologien nicht erreichbar. Um es mit einem Satz zusammenzufassen: Deutschland hat sich zu viel in zu kurzer Zeit vorgenommen. Es gibt meines Erachtens vier limitierende Faktoren: die volks- und betriebswirtschaftlichen Kosten, physikalisch-technologische Grenzen, das verfügbare Zeitbudget sowie die politische Machbarkeit.
Markt und Mitte: Wenn der technische Fortschritt nicht schnell genug geht, bleiben dann nur Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger? Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutzgesetz ließe sich ja durchaus in diese Richtung interpretieren.
Eric Heymann: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist in der Tat eine Abkehr vom bislang dominierenden klimapolitischen Narrativ, wie er beispielsweise im Green Deal der EU noch zu finden ist. Dieser bezeichnete den Weg Richtung Klimaneutralität als „neue Wachstumsstrategie“. Abgesehen von den wirtschaftlichen Kosten ist es aus meiner Sicht jedoch offenkundig, dass die angestrebten CO2-Reduktionen Implikationen für unseren Alltag haben werden. Sie werden politische und gesellschaftliche Widerstände auslösen. Deutlich höhere CO2- und damit Energiepreise oder ordnungsrechtliche Eingriffe in bislang selbstverständliche Freiheiten werden Gegenreaktionen hervorrufen. Die Debatten im Bundestag zeigen bereits den aufkommenden Widerstand.
Markt und Mitte: Die wirtschaftliche und die demographische Dynamik sind in den Entwicklungs- und Schwellenländern besonders hoch. Wäre die internationale Abstimmung der Klimaschutzpolitik der bessere Weg im Vergleich zu Alleingängen auf deutscher oder europäischer Ebene?
Eric Heymann: Der Klimawandel ist aus ökonomischer Sicht ein globaler negativer externer Effekt. Deshalb kann Klimaschutz mittel- bis langfristig nur global oder zumindest unter Beteiligung aller großen Emittenten gelingen. Zugleich ist Klimaschutz ein Paradebeispiel für ein rein öffentliches Gut. Es gilt das Prinzip der Nicht-Ausschließbarkeit, denn einzelne „Verbraucher“ können nicht vom „Konsum“ eines besseren Klimas ausgeschlossen werden. Zudem existiert eine Nicht-Rivalität im Konsum: Verbraucher konsumieren das öffentliche Gut Klimaschutz, ohne hiermit die Konsummöglichkeiten anderer Verbraucher bei diesem Gut einzuschränken. Dadurch haben einzelne Volkswirtschaften in der Regel nur einen geringen Anreiz, Emissionen übermäßig stark zu bepreisen, wenn alle anderen von einem besseren Klima profitieren, ohne dafür zahlen zu müssen. Diese Eigenschaft von Klimaschutz als öffentlichem Gut ist der entscheidende Grund für die schleppenden Fortschritte bei den internationalen Klimaschutzverhandlungen der letzten Jahrzehnte. Hinzu kommt, dass ärmere Staaten mit Verweis auf ihre geringen Pro-Kopf-Emissionen noch nicht bereit sind, besonders anspruchsvolle Klimaschutzziele zu formulieren. Sie verweisen eher auf die Verantwortung der reichen Länder. Zudem streben die Schwellenländer in den kommenden Jahren verständlicherweise nach mehr Wirtschaftswachstum, was auch zu einem höheren Energieverbrauch und höheren CO2-Emissionen führen wird. Kurzum: Eine globale Abstimmung der Klimaschutzpolitik wäre wünschenswert, sie ist jedoch nicht leicht zu realisieren.
Weiterführende Literatur von Eric Heymann:
Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist Aufruf zu technischem Fortschritt
Klimapolitische Ansprüche treffen auf energiewirtschaftliche Hürden
Klimaneutralität: Sind wir bereit für eine ehrliche Debatte?