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Vertrauen und der „Ehrbare Kaufmann“
„Das Vertrauen ist eine zarte Pflanze. Ist es einmal zerstört, so kommt es so bald nicht wieder.“
– Otto von Bismarck
Vertrauen ist einer der am stärksten vernachlässigten Wirtschaftsfaktoren. Ohne Vertrauen würde kein effizientes Wirtschaftssystem funktionieren. Es ist das Grundkapital der Marktwirtschaft. Die Wirtschaft und das tägliche Leben sind so komplex, dass sich beides ohne Vertrauen nicht gut organisieren lässt. Vertrauen macht das Leben leichter, weil es aufwendige Vertragskonstruktionen und Kontrollen entbehrlich macht.
Die Eigenschaften und Tugenden des „Ehrbaren Kaufmanns“ sind gefragt: Geschäfte per Handschlag, Verlässlichkeit, verantwortungsvolles Handeln in Bezug auf sein Unternehmen und die Gesellschaft. Der „Ehrbare Kaufmann“ stellt den langfristigen Erfolg über den kurzfristigen Gewinn, er ist somit das implizite Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Seine Tugenden und Ideale wurden einst von „progressiven“ politischen Kräften bekämpft und zuweilen als altmodisch verspottet. Ihre Nachfolger entdecken diese Tugenden nun kurioserweise neu und „verkaufen“ sie in bester Marketingsprache mit Begrifflichkeiten wie „Nachhaltigkeit“, „Purpose“ oder „Stakeholder-Orientierung“ als eigene Ideen.
In den vergangenen Jahren ist das Vertrauen der Bürger mehrfach schwer erschüttert worden. Den Auftakt machte die globale Finanzkrise, die zum Vertrauensverlust in besonderer Weise beigetragen hat: Rigoroses Gewinnstreben und eine mangelhafte Regulierung des Finanzsektors haben zunächst Preisblasen ermöglicht und deren Platzen hat das globale Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Banken und andere Institute kollabierten. Zuvor undenkbare staatliche Rettungsaktionen wurden zur Normalität und scheinbare Gewissheiten über Wirtschaft und Finanzmärkte wurden reihenweise pulverisiert. Dass sich der anonyme Finanzkapitalismus US-amerikanischer Prägung deutlich von der sozialen Marktwirtschaft europäischer Prägung unterscheidet, geriet dabei genauso aus dem Blick wie die Tatsache, dass das Verhalten der besonders aggressiven Finanzmarktakteure mit dem Leitbild eines „ehrbaren Kaufmanns“ nichts gemein hat. Der Ruf der Marktwirtschaft war von einigen Hasardeuren ruiniert worden, das Vertrauen dahin.
Aber auch die Politik muss mit teils schweren Vertrauensverlusten kämpfen. Es war der Staat, der die Finanzexzesse in den USA mit einer zu laxen Regulierung des Finanzsektors und mit – gut gemeinten – politischen Zielen überhaupt erst ermöglicht hat. Auch in Europa ging das Vertrauen in die Politik nach und nach verloren. Ob Eurokrise, Flüchtlingskrise oder Coronakrise, immer wieder zeigten sich Mängel im staatlichen Krisenmanagement. Erwartungen wurden enttäuscht, Versprechen gebrochen. Vertrauen und Verlässlichkeit blieben auf der Strecke. Da gegenseitiges Vertrauen erworben werden muss und nicht verordnet werden kann, ist kein Ende der Vertrauenskrise in Sicht.